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Superrandonnée `Aufi muss i`

15/09/2020 -

Bei der einzigen österreichischen SR nahm Rainer unglaubliche 600km mit 13.600hm unter die Räder, zu fahren in max. 60h. Die sehr harte Runde durch wunderschöne Landschaft mit sehr steilen Anstiegen verlangte ihm alles ab - und ließ wieder einen eindrucksvollen Bericht der Höhen und Tiefen der Tortour entstehen.


Eigentlich sollte es ja Anfang September nach Südfrankreich gehen. Wir waren für eines der härtesten europäischen Bergbrevets angemeldet – dem „1000 du sud“. 1.000Km mit über 20.000hm in einer der schönsten Bergwelten Europas, der Provence; Zeitlimit 100 Stunden. Die Corona-Fallzahlen stiegen leider an der Côte d’Azur wieder stark an und am 24.08. stuften die deutschen Behörden die Region Provence-Alpes-Côte d’Azur als Risiko-Gebiet ein. Somit entschieden wir uns dort nicht zu starten. Es musste kurzfristig eine Alternative gefunden werden. Mit Sascha und Martin fand ich zwei Mitstreiter für die einzige österreichische SR, die „Aufi muss i“. Die drei deutschen SR´s war ich ja schon gefahren. Also standen 600km mit über 13.000 Höhenmetern, zu fahren in 60 Stunden, auf dem Plan.

In Saschas Wohnmobil ging es in ca. eineinhalb Tagen sehr bequem nach Graz. Hier trafen wir uns mit Martin und seiner Frau auf dem am Stadtrand gelegenen Wohnmobil-Stellplatz. Die beiden reisten mit ihrem großen Wohnwagen an. Für ausreichenden Komfort vor und nach der Tour war also gesorgt. Ich kam mir schon etwas dekadent vor. So einen Luxus hatte ich lange nicht. In den zwei Nächten vor unserem Start regnete es ausgiebig, so dass wir schon ziemliche Bedenken hinsichtlich des Wetters hatten. Aber alles wurde gut. Am Anreisetag fuhren wir gleich noch zum Grazer Thomas Stindl, dem „Erfinder“ der Tour. Er übergab uns unsere Startkarten und wünschte gutes Gelingen. Vielen Dank nochmal an Thomas für das unkomplizierte und schnelle Procedere.

Unsere Startzeit hatten wir auf Montag den 07.09. / 10 Uhr festgelegt. Nach einem Bier ging es am Vorabend zeitig ins Bett. Der Regen trommelte die ganze Nacht ohne Unterbrechung auf unser Womo-Dach und hörte erst am Montag gegen 9 Uhr auf. Alles war triefend nass. Um 09:30 Uhr brachen wir dann zum Startort mitten in Graz auf. Punkt 10 Uhr machten wir das Startfoto und kurze Zeit später hatten wir die Stadt verlassen und es ging aufwärts. Thomas hatte uns noch den Hinweis gegeben, dass es vor der ersten Kontrolle eine nur im Zeitraum von 12 bis 13 Uhr passierbare Straßenbaustelle gibt, so dass ein früherer Start nicht sinnvoll gewesen wäre. Wir kamen dort gegen 11:45 Uhr an und konnten die Baustelle durchlaufen.

Der Tag verging mit dem Erklimmen der ersten vier Aufstiege. Hier waren meine beiden Begleiter immer etwas schneller oben. Sie warteten aber immer auf mich, so dass wir gemeinsam in die Abfahrten rollen und den nächsten Anstieg gemeinsam angehen konnten. In Deutschlandsberg fanden wir einen Döner-Imbiss für das Abendessen. Hierzu durfte es nun auch mal ein Bier sein. Wir machten die erste längere Pause. Da ich schon fertig war, Sascha noch packte und Martin noch zur Toilette wollte, rollte ich schon mal los. Die beiden sollten mich wohl sicher einholen. Im nächsten Anstieg kam dann Sascha auch von hinten heran. Nur Martin fehlte noch. Als er nach längerer Zeit immer noch nicht da war kontaktierten wir ihn per Telefon und erfuhren, dass er gleich beim Losfahren eine Reifenpanne hatte. Also langsam weiter. Er würde uns schon einholen.

Wir erreichten den höchsten Punkt der Tour auf der Weinebene. Leider schon im Dunkeln. Es wurde nebelfeucht. Die Abfahrten musste man nun vorsichtiger fahren. Wir zogen uns für die Nacht wärmer an. Das war auch notwendig, denn es wurde deutlich kälter. Nach der Kontrolle Klippitzhörl erreichten wir kurz vor St. Leonhard wieder ein Tal und es fing etwas zu regnen an. Wir stellen uns an dem neuen Bürogebäude einer größeren Fabrik unter und stellen fest, dass die hier außen angebrachten und über eine Feuertreppe zu erreichenden laubengangartigen Anbauten schöne neue Holzdielen hatten. Also Schlafsäcke ausgepackt und zwei Stunden geschlafen. Als der erste Arbeiter auf das Betriebsgelände fuhr stahlen wir uns zügig davon.

Am Morgen erreichten wir die Kontrolle auf dem Gaberl und gönnten uns im Gasthaus ein ordentliches Frühstück. Hier war schon gut ´was los. Viele Motorradfahrer und einige Wanderer frühstückten hier auch. Sascha klagte seit einiger Zeit über Knieschmerzen. Ich hatte mich schon gewundert, dass ich ihn immer im letzten Drittel der Anstiege wieder einholte. Auch Martin kam einfach nicht wie erwartet von hinten heran. Wir erfuhren, dass er rollte aber immer so ein bis zwei Anstiege hinter uns war. Sascha wollte in der warmen Gaststätte auf dem Gaberl auf ihn warten und meinte ich solle schon mal losfahren. Also alleine weiter.

Kurze Zeit später holte er mich wieder ein, weil er doch nicht so lange auf Martin warten wollte der weiter als vermutet zurücklag. Wegen der Knieschmerzen äußerte Sascha, dass er wohl demnächst aufgeben würde. Auf der Teichalm gönnten wir uns noch ein sehr gutes gemeinsames Abendessen und dann trennten sich unsere Wege. Sascha fuhr auf kürzestem Weg zurück nach Graz und beendete die Tour mit ca. 400km und 9.000hm.

Für mich ging es nun allein in die zweite Nacht. Martin war etwa zwei Anstiege hinter mir unterwegs und ließ mich wissen, dass ihm das Fahren noch Spaß macht. Es lagen noch sechs nennenswerte Anstiege vor mir.

Die folgende Nacht brachte mich mental an meinen Grenzen. Allein unterwegs, kalt (bis 5°C), nass und ich vollkommen übermüdet. Vor einem Gasthaus sah ich gegen 22 Uhr den Wirt einen Zigarette rauchen und fragte ihn nach einem Zimmer. Leider sei er voll belegt und erwarte noch Gäste. Hmm? Vielleicht habe ich aber nur zu streng gerochen. Ich konnte meine Ausdünstungen jedenfalls selbst deutlich riechen. Also weiter. Der nächste Anstieg wurde zur totalen Tortour. Absteigen, schieben, wieder aufs Rad, absteigen ... , keine Kraft mehr für zehn bis vierzehn Prozent. Und nirgends eine Bank oder ein Platz zum Hinlegen. Wenn ich jetzt hier sterben sollte, dann sollte es wohl so sein. Auch egal. Auch war ich hier rechnerisch aus dem Zeitfenster. Ca. 420km bei über 43 Stunden Fahrzeit. Diese Erkenntnis baute mich auch nicht gerade auf. Nach einer gefühlten Ewigkeit erreichte ich am Boden zerstört und auf dem Zahnfleisch den Schanzsattel.

In der darauffolgenden Abfahrt fand ich im zweiten Dorf endlich ein Bushäuschen mit einer schön breiten Bank und packte meinen Schlafsack aus. Ich habe zwei Stunden gut geschlafen. Das Weiterfahren war dann wegen der Kälte sehr hart. Mein Rad zitterte mit mir in den Abfahrten.

Gegen halb sechs fand ich eine geöffnete Bäckerei. Ein wahrer Segen. Ich konnte mich aufwärmen, frühstücken und sogar die Toilette der Mitarbeiterin benutzen. Draußen war es immer noch bitterkalt. Aber ich musste weiter. Irgendwann, nach einer gefühlten Ewigkeit, ging die Sonne auf und im nächsten Anstieg kam ich ihr sogar wieder näher, so dass mir endlich wieder warm wurde und die Lebensgeister zurückkehrten. Ich kaute Zahnpflege-Kaugummis mit Pfefferminzgeschmack und das Leben machte wieder Freude. Hoffentlich war Sascha gut nach Graz gekommen. Martin rollte auch noch und war nun etwa drei Anstiege hinter mir.

Die nächsten Pässe erklomm ich nun nur noch im Gemüsemodus. Hoch, ´runter, hoch, ´runter, steil, steiler, gemein, gemeiner, noch gemeiner... . Lediglich als mal eine Schilderkombination 17% auf 1.600m anzeigte wurde mein Kampfgeist noch einmal geweckt. Das Ding drückte ich mit wuchtigen Kurbelbewegungen durch. Ha! An dieser Stelle sei erwähnt, dass mein Rad mit Gepäck und Proviant um die siebzehn / achtzehn Kilo wog. Oben traf von der anderen Seite zum selben Zeitpunkt ein Radfahrer mit einem e-bike schwitzend und keuchend ein. Auf seine Frage nach meinem Woher und Wohin zeigte ich ihm die Tour auf dem Handy und was ich davon schon zurück gelegt hatte und was noch vor mir lag. Ich faselte etwas von Prüfung usw.. Ungläubige Blicke. Der muss mich für vollkommen durchgeknallt gehalten haben.

Von der vorletzten Kontrolle (Brandlucken) sollten wir Thomas eine Nachricht senden. Wenn es passen würde, würde er uns im Ziel empfangen. Das tat ich. Jetzt machte ich keine nennenswerten Pausen mehr. Ich hatte Zeit aufgeholt und mir wurde klar, dass ich es doch noch innerhalb der 60 Stunden schaffen konnte. Ich hielt nur noch zum Wasser fassen, austreten und zum Verzehren der letzten Reserven (Studentenfutter, Riegel, Gels etc.) an.

Endlich erreichte ich den letzten Pass, das Schöcklkreuz. Hier musste ich erstmal das Schild für das notwendige Foto suchen da davor Autos parkten. Aber auch das war endlich gefunden. Ab jetzt sollte es nur noch abwärts nach Graz gehen. Die Abfahrt war dann in Erwartung des Zieleinlaufes ein Genuss. Lediglich eine im offenen Shirt eingefangene Hornisse, die natürlich zustach, trübte die Vorfreude. Der Schmerz war so als ob mir jemand einen Nagel in die Brust geschlagen hätte. Aua!

Kurz darauf traf ich Sascha, der mir entgegengekommen war. Toll!!! Gemeinsam erreichten wir um 18:43 das Ziel, die Schlossbrücke in Graz. Ich hatte in 56:43 Stunden ca. 592km mit ca. 13.600hm zurückgelegt. Wir setzen uns in den nächsten Biergarten und zwei Halbe pro Person verschwanden. Kurz darauf kam Thomas, der Streckenorganisator. Ihm spendierte ich natürlich den gewünschten Radler. Er nahm mein Handy, sah sich die Kontrollfotos an, homologisierte die Tour auf meiner Karte und überreichte mir diese mit Glückwünschen. So schnell bin ich auf über fünfzig Brevets noch nicht wieder zu meiner Karte gekommen. Vielen Dank dafür.

Ich war der 35. Finisher dieser Runde.

Dann fuhren wir die ca. 8km zum Womo-Platz wo eine Dusche, Essen und noch ein Gute-Nacht-Bier auf mich warteten. Sascha fuhr dann noch Martin abholen der leider zehn Minuten (!!!) zu spät das Ziel erreichte. Auch fehlten ihm einige Kontrollfotos der letzten Pässe. Schade.

Der nächste Tag wurde mit Essen und Schlafen im Wechsel verbracht. Gegen 16 Uhr kam Thomas nach seiner Arbeit noch einmal vorbei um Martin im Ziel zu begrüßen. Erst hier erfuhr er, dass Martin es nicht im Zeitlimit geschafft hatte. Wir bedankten uns noch einmal für die tolle Organisation und die Wahnsinns-Strecke. Thomas fuhr zu seiner Familie nach Hause und wir machten uns abends noch auf den Heimweg.

Fazit:

Die Strecke ist hart. Sehr hart. Die Anstiege sind steil. Oft sehr steil. Sie sind auch nicht kurz. Eher mittellang. Die Landschaft ist wunderschön. Der Straßenbelag ist bis auf wenige Ausnahmen sehr gut. Durch den vorangegangenen Regen rauschte fast überall Wasser. So viele Bäche und Flüsse mit heftig strömendem Wasser habe ich vorher noch nicht erlebt.

Wir wurden nicht ein einziges Mal angehupt! Wenn notwendig warteten die Autofahrer geduldig auf Überholmöglichkeiten. Ansonsten wird in den Bergen rasant gefahren.

Verglichen mit den drei deutschen Superrandonnées ist dies die Härteste die ich bis jetzt gefahren bin.

Hier nochmal Dank an alle Beteiligten:

An Thomas Stindel für die wirklich irre Streckenplanung. An Sascha für den Komfort im Womo und die nette und unterhaltsame An- und Abreise. An Martin und seine Frau Bettina für die netten Gespräche und die Versorgung mit allem Luxus. An meine Frau, an meine Tochter und an meinen Freund Dario die mich auf der gesamten Tour moralisch per whatsapp unterstützten.

(Rainer)